Tibet

Wo der Himmel die Erde berührt

Da es aktuell keine Proteste in der autonomen Provinz Tibet gibt, ist die politische und kulturelle Lage Tibet nicht im Blick der Weltöffentlichkeit. Weiterhin schreitet die Sinisierung Tibets voran. Die Tibeter fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und befürchten, dass Sie in Kürze durch Überfremdung ihrer Kultur beraubt werden. Meditation und Mitgefühl, respektvoller Umgang mit der Natur sind die Kennzeichen des tibetischen Lamaismus. Für die Tibeter ist ihr Land ein heiliger Kosmos, voller ritueller und mythischer Macht. Gebetsfahnen haben die die Aufgabe den Segen über das Land zu verteilen. Berge sind der Sitz von Gottheiten, Höhlen sind Orte der Meditation, Pfade und Wege gelten als Symbol für den Weg der Erleuchtung. Bei den hier vorgestellten Reisen handelte es sich daher nicht nur um äußere, sondern auch um innere Reisen.

Die Reiserouten folgen vier (Himmels-) Richtungen, um jeweils in das Zentrum der tibetischen Kultur, nach Lhasa zu gelangen. Die Chengdu-Route erwies sich wegen Bergrutschen, Steinschlägen und zerstörten Brücken als gefährlichste Tour. Traumhaft schöne Landschaften machen diese Route zu einer experimentellen Erfahrung. Die Shangri-La-Route verblüfft mit spektakulären Schluchten und faszinierenden Flußverläufen. Die Golmud-Route vermittelt einen Einblick über die Weite des Landes. Sie führt entlang der neu gebauten Eisenbahn nach Lhasa, ein deutliches politisches Signal, Tibet näher an China „heranzuholen“ bzw. der chinesi-schen Bevölkerung die Chance zu geben, sich in Tibet anzusiedeln. Die Nordroute der Kailash-Tour sowie die Umwanderung des heiligen Berges Kailash, bildeten den Höhepunkt der Recherchen.

Bereits kurz nach Chengdu kommt man nach Kangding, das zum tibetischen Ursprungsgebiet gehört, das so genannte Innere Tibet. In Markam wird die erste Stadt in der autonomen Provinz Tibet erreicht. Durch ständig sich wechselnde Landschaften führt der Weg weiter nach Nagqu und von dort zum heiligen See Namt-so La, den die Tibeter „Himmlischen See“ nennen, es ist der am höchsten gelegene Salzwassersee der Erde (4.700m). Er wird im tibetanischen Buddhismus als einer der drei heiligsten Seen angesehen. Der See und vor allem die Dzashi Monastery auf der Dzashi Halbinsel ist ein bedeutender Pilgerort, da dieser Ort als Sitz von Paramasukha Chakrasamvara (Archetyp der ekstatischen Vereinigung von Weisheit und Mitgefühl) gehalten wird. Tausende Pilger beten hier zu Beginn des tibetanischen neuen Jahres.

Die Shangri-La-Route verblüfft mit spektakulären Schluchten und faszinierenden Flußverläufen. Ausgangspunkt dieser Route ist Zhongdian, das inzwischen in Shangri La umgenannt wurde. Das hier sich befindende Kloster Sanzalin ist in der Bauweise dem Potala in Lhasa nachempfunden. Der Begriff Shangri La stammt aus dem 1933 erschienen Roman „Lost Horizon“ (Der verlorene Horizont) von James Hilton. Im Roman liegt Shangri La in der Nähe des Shangri-Gebirgspasses im Himalaya. Die Fik- tion von Shangri La basiert auf einer alten Überlieferung. In frühen buddhistischen Schriften wird der Ort Shambala als Quelle der Weisheit genannt und zugleich gilt Shambala in den alten östlichen Legenden als Symbol für ein versteckt liegenden Paradies. In diesem Gebiet liegen die Wurzeln der Bön-Religion.

Bei der Bön-Religion handelt es sich um eine Naturreligion, die von schamanistischen Glaubensvorstellungen geprägt ist. „Bön“ bedeutet soviel wie „Wahrheit“, „Wirklichkeit“ und „Wahre Lehre“. Zwischen Bomi und Bayizhen gibt es bis heute Zentren dieser Religion. Die Route folgt verwunschenen Landschaften, wie die weltweit grösste Schlucht des Yarlung Zangbo (Brahmaputra), entlang des mächtigen Mt. Namche Barwa. Auf dieser Route kommt man zur Wiege der tibetischen Kultur, nach Tsetang. Der älteste Palast Tibets aus der Zeit des Turpo-Königreichs Yongbulakang, erinnert noch an diese Zeit. Von hier ist es nicht weit bis nach Samye, dem ältesten Kloster Tibets aus dem 8. Jahrhundert. Das Kloster liegt in einer von Sanddünen geprägten Landschaft. Seine Architektur symbolisiert das Abbild des Universums.

Start der Golmud-Route war der Binglinsi Buddha und das Kloster Kumbum (Provinz Qinghai), eines der sechs größten Lamaklöster in China, das in der Mingzeit (1560) gebaut wurde. Tsongkhapa (1357-1419), der Begründer des Gelugpa-Ordens, der lamaistischen „Gelbmützen“, wurde am Standort der ältesten Tempelhalle des Klosters geboren. Die nomadische Lebenskultur der Tibeter lässt sich auf dieser Route sehr eindringlich kennenlernen. Seenlandschaften wechseln mit fruchtbarem Land mit weidenden Yaks, verlassenen Klöstern und Wüstengebieten in denen wilde Kamele leben. Nach Überwindung des Kunlun Passes (4.849) erreicht man das tibetische Hochplateau. Die für Tibet charakteristische Hochlandsteppe lässt sich hier eindrucksvoll erleben. Hier scheint der Himmel die Erde zu berühren.

Mehr als 75 Jahre chinesischer Herrschaft haben deutliche Spuren in Lhasa hinterlassen. Längst bilden die Tibeter eine Minderheit. Der Potala überstand als eines der wenigen Kulturdenkmale in Tibet vergleichsweise unversehrt. Er war einst der Sitz der Regierung Tibets, die Residenz des Dalai Lama, des tibetischen geistlichen und weltlichen Staatsoberhauptes, bis zu dessen Flucht aus Tibet im Jahr 1959. Obwohl der Potala heute „nur“ ein Museum ist, gehört er zu den wichtigsten Pilgerstätten der tibetischen Buddhisten. Weiterhin umrunden die Gläubigen ihn im Uhrzeigersinn, wie auch den Jokhang, dem religiösen Zentrum in der Altstadt. Dabei beten sie und drehen ihre Gebetsmühlen. Die Tradition dieser Kora genannten Ehrerbietung reicht ins siebte Jahrhundert zurück. Die Gläubigen umkreisen auch den Jokhang und die Klöster im Umkreis von Lhasa.

Die drei großen Klöster des Gelug-Ordens liegen in der Nähe von Lhasa. Drepung wurde im Jahre 1416 gebaut In der Klosteranlage befinden sich vier buddhistische Fakultäten. Das 1419 gegründete Kloster Sera liegt in der nördlichen Vorstadt von Lhasa. Eine Besonderheit im Sera-Kloster sind die spirituellen Debatten der Mönche. Das Kloster Ganden liegt ca. 60 km östlich von Lhasa. Das Kloster wurde Anfang des 15. Jahrhunderts von Tsongkapa, dem Gründer der Gelben Sekte, gebaut. Das wunderschön am Hang liegende Kloster wurde während der chinesischen Kulturrevolution beinahe vollständig zerstört. Von den einst 200 Gebäuden sind inzwischen nahezu 100 wieder getreu dem Orginal rekonstruiert worden. Eine Reinigungszeremonie nach der Fastenzeit gibt einen Einblick in die Spiritualität der tibetischen Mönche.

Der Berg Kailash gilt als spirituelles Zentrums von Tibet. Die Nordroute vermittelt bereits eindringliche Erlebnisse. Auf dem Weg kann man eine eindrucksvolle Stufenpagode in Gyantse, das Kloster Tashilunpo, die Residenz des Pantschen Lama und ein monumentales Kloster, das 1073 gebaute Hauptkloster der Sakya-Sekte, besuchen. Bei der Nordroute wird der Transhimalaya überquert, ständig wechselt die Landschaft, Heisse Geysire, türkisblaue Seen, wüstenähnliche Landschaften und sogleich wieder Schneeberge vermitteln intensive Naturerfahrungen. Beispiellos und in seiner Art einzigartig ist ein Ausflug durch den Sutlej-Canyon zum ehemaligen Guge-Königtum, das im 11 JH gegründet wurde. Ungesehene Landschaften begegnen dem Reisenden, Natur verschmilzt mit Kultur.

Der Kailash gilt als heiliger Berg. Er gehört aufgrund seiner besonderen Form und Lage zu den bedeutendsten spirituellen Orten des tibetanischen Buddhismus, des Hinduismus, des Jainismus und der Bön-Religion. Eine Umrundung des Berges (Tib.: Kora oder Sanskrit: Parikrama) auf einem ca. 53 km langen Weg, der bis in eine Höhe von ca. 5.700 Meter über den Dölma La (Tib. für Grüne Tara) führt, ist die wichtigste Pilgerreise für Anhänger dieser Religionen. Die Richtung der Umrundung erfolgt dabei in Abhängigkeit von der Religionszugehörigkeit des Pilgers. Buddhisten, Hinduismus und Jainismus gehen im Uhrzeigersinn, die Anhänger des Bön gegen den Uhrzeigersinn. Während der Kailash das männliche Prinzip verkörpert, repräsentiert der Manasarovar-See das weibliche Prinzip.