Nepal

Der Weg ist das Ziel

Im Verlauf von mehreren Monaten (vier Touren) wanderten Prof. Dr. Franz Josef Röll und Hildegard Wolf durch Nepal, eines der landschaftlich und kulturell beeindruckendsten Länder des Himalaya. Die nepalesische Gastfreundschaft ist weltberühmt. Der Ausdruck „Atithi Devo Bhava“ (Der Gast ist wie ein Gott) wird wirklich gelebt. Ihre Erkundungen und Recherchen haben sie in einer Multivision zu einer symphonischen Montage aus Bildern und Klängen verdichtet. Die inhaltliche Aussage der Schau erschließt sich durch die Montage von (Original) Tönen und Bildern als sinnlich-emotionale Botschaft. Live-Kommentare ergänzen und verbinden die audiovisuellen Teile. Die Multivision versteht sich nicht als Reisebericht, sondern als eine künstlerische und sozialästhetische Annäherung. Es handelt sich um einen Versuch, Nepal von innen, bezogen auf das Selbstverständnis der Nepalesen, zu verstehen. Behandelt werden die Themen Natur und Religion, Kultur und Ökologie sowie Tradition und Moderne.

Fünf Uhr morgens: Mit dem Tonband folgen wir am Eingang des buddhistischen Klosters Tengpoche im Khumbu Himal den seufzenden Klängen der Muschelhörner. Sie verkünden den Mönchen den Sieg über die schamanistische Bon-Religion und damit die Gründung des Buddhismus durch Guru Rinpoche Padmasambhava. Um neun Uhr rufen die Langhörner zu den rituellen Tänzen. Menschen legen prachtvolle Gewänder an, setzen sich furchterregende Masken auf und vollziehen in atemberaubenden Tänzen das göttliche Ereignis nach. Im ersten von insgesamt vier Hauptteilen zeigt die Multivision, verkörpert durch den Buddhismus, die Suche des Menschen nach der Einheit mit der Natur. Obwohl Nepal vorwiegend hinduistisch geprägt ist, war und ist der tibetische Buddhismus immer ein bedeutender Teil des religiösen Lebens in Nepal geblieben.

Prinz Siddhartha, der spätere Gautama Buddha, wurde in Nepal (Lumbini) geboren. Besonders in den nördlichen Regionen Nepals ist der Buddhismus verbreitet. Der Einfluss des tibetischen Buddhismus ist spürbar. Stupas und Tschörten prägen das Landschaftsbild und erinnern die Gläubigen an zentrale Glaubensinhalte, so z.B. an Dharma, das Rad der Lehre. Dazu gehört der achtfache Pfad: u.a. rechtes Handeln, rechte Gesinnung, rechter Lebenserwerb, rechte Achtsamkeit. Drei der wichtigsten buddhistischen Pilgerorte befinden sich im Kathmandutal. Der Swayambhunath Stupa bezeugt die frühen Wurzeln des Buddhismus in Nepal. Der Bodnath Stupa ist der zentrale Treffpunkt für Tibeter. Der Goldene Tempel in Lalitpur (Patan) ist eines der komplexesten und kunstvollsten buddhistischen Denkmäler in Nepal.

Die Zahl 1 verkörpert in der asiatischen Philosophie die Einheit des Menschen mit der Natur. Die Zahl 2 symbolisiert Dualität, so z.B. das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Natur. Im zweiten Kapitel wird die ästhetische Faszination von Nepal mit eindringlichen Naturaufnahmen als idealisiertes Verständnis der Genesis der Erde nachgezeichnet. Schnee, Eis, Wasser verkörpern den Ursprung, die Pflanzenwelt repräsentiert das natürliche Leben. Die majestätische Welt des Himalayagebirges überwältigt durch Schönheit und Grandiosität, demonstriert aber auch zugleich die „Nichtigkeit“ des Menschen gegenüber der Natur. Die Welt der Berge wird aus drei Perspektiven gezeigt. In der Mikroperspektive (Chuckhung Ri) sind Details der mächtigen Felswand des Nuptse zu sehen, in der Mesoperspektive (Kala Pattar mit Blick auf den Chomolunga) vermittelt die normale Perspektive, die Sicht eines sich in der Natur bewegenden

Menschen. Die Makroperspektive (Gokyo Peak) demonstriert die Macht der Natur. Wie aus einer Vogelperspektive verschwindet der Mensch, zu sehen sind imposante großflächige Gebirgslandschaften, die machtvoll sind und mythische Wirkung aussstrahlen.
Die Naturaufnahmen entstanden in mehreren Regionen, dem Gebiet zwischen Kathmandu und Gorkha, Pokhara, dem Annapurna Gebiet und dem Khumbu Himal. Die Umwanderung des Annapurna Himal gehörte zu den prägendsten Naturerfahrungen. Wanderer erleben den Wechsel vom tropischen, subtropischen, gemäßigtem und alpinem Klima sowie die Eis- und Kältewüste. Vergleichbare Naturerfahrungen bieten sich bei einer Wanderung von Jiri zum Kala Pattar. Beide Touren sind ideal wegen der langsamen Höheanpassung. Irritierend sind die achtlos weggeworfenen Flaschen, Dosen und sonstigem Müll.

Die Zahl 3 symbolisiert in der asiatischen Philosophie die Überwindung der Dualität. Trinität verspricht eine neue Einheit. Nicht zufällig kommt der Dreiheit in vielen Religionen eine besondere Bedeutung zu, so auch beim Hinduismus, daher steht der Hinduismus im Zentrum des dritten Kapitels. Personifiziert wird die Dreiheit (Trimurti) durch Brahma (Schöpfer), Vishnu (Erhalter) und Shiva (Zerstörer, Wandler). Die Trimurti verkörpert den Ursprung aller göttlichen Wirkungen in einer Einheit. Alle drei Aspekte bedingen sich. Es gibt im Hinduismus auch eine weibliche Trimurti, die Tridevi genannt wird. Saraswati ist die Schöpferin, Lakshmi die Erhaltende und Kali die Zerstörerin. Der Mensch greift in die Natur ein und beginnt sie zu beherrschen. Als Sühne opfert der Mensch und baut den Göttern Paläste. Vermittelt über die Göttin Kali haben Einflüsse von vorhinduistischen

und vorbrahmanischen Religionen in Nepal überlebt. Blutige Opferungen in Dakshinkali erinnern an die Vorstellung, dass Tod und Leben untrennbar miteinander verknüpft ist, so auch die Vorstellung, dass der Tod das Leben gebiert. Die Überzeugung, dass es einen Zyklus aus Schöpfung, Erhaltung und Auflösung gibt, wird auch mit dem Tandava-Tanz von Shiva verbunden. Es gibt auch Opferungen, die mit Shiva in Verbindung stehen. Bei diesen Opferungen darf kein Blut die Erde berühren.
80 Prozent der Bevölkerung in Nepal sind Hindus. In weiten Teilen des Landes prägen religiöse Vorschriften den Alltag und Abläufe in der Gesellschaft. So wird das Leben im Hinduismus von der Kastenzugehörigkeit bestimmt. Die soziale Schichtung gilt als gottgewollt und ist von Geburt an feststehend.

Die Zahl 4 repräsentiert in der asiatischen Philosophie die Realität, die erlebbare Wirklichkeit. Das vierte Kapitel zeigt daher die Jetztzeit: Die Natur wehrt sich gegen die Menschen, Erosion und Baumsterben versinnbildlichen die Entfremdung zwischen Natur und Menschen. Nepal hat in dem Zeitraum zwischen 1990 und 2005 ein Viertel seiner Waldfläche verloren. Doch bereits in den 1950er-Jahren wurden nach der Verstaatlichung Nepals die Wälder geplündert. Überforderte Forstverwaltungen vergaben großzügig Lizenzen zum Abholzen. Dorfbewohner brannten für ihre hatte für Menschen und die Kultur 2015 Weiden oder Felder Baumflächen nieder. Daher überrascht es nicht, dass Nepal erheblich vom Klimawandel betroffen ist. Die Gletscher schmelzen, die Erosionsflächen nehmen zu. Verheerende Auswirkungen hatte 2015 für

die Menschen und die Kultur ein Erdbeben. Religion und Alltagskultur geraten zudem in Widerspruch mit Einflüssen von den westlichen Zivilisationen. Einerseits ist der Tourismus förderlich, da er Devisen bringt und weil auch wegen der Touristen die Kulturdenkmäler geschützt werden. So war deutsche Entwicklungshilfe in Bakhtapur beteiligt, viele Tempel mit zu restaurieren. Zudem wurde eine Ausbildungsstätte eingerichtet, um die einheimische Holzschnitzkunst der Newaris zu bewahren. Die Schattenseiten des Tourismus sind sich stapelnder Müll in den Basecamps des Himalayagebirges sowie der mangelnde Respekt gegenüber den traditionellen Werten der Nepalis, wie unpassende Kleidung. In vielen Orten wo viel Tourismus herrscht wandelt sich die Infrastruktur nicht zum Vorteil der Einheimischen.