Virtuelles
Kinderhaus Nordweststadt
Kinder
wachsen in einer Welt auf, in der Medien eine große Bedeutung für sie
haben. Unsere Mediengesellschaft prägt ihr Denken, Fühlen und Handeln.
Um in dieser Mediengesellschaft handlungsaktiv und partizipativ bestehen
zu können, bedarf es der Befähigung die Neuen Medien als Werk- und Denkzeug
zu nutzen. Damit nicht die Gefahr besteht, daß Kinder sich in den medialen,
den virtuellen Welten zu verlieren, ist ein Projektdesign erforderlich,
das die sogenannte Realität und die Virtualität integriert. Realität
wird mit Virtualität konfrontiert, aus dieser Konfrontation entsteht
die Befähigung zum virealen Denken. Kinder lernen Medien in ihrer sozialen
Lebenswelt einzusetzen, diese dann kreativ zu bearbeiten, um zum Schluß
das geschaffene mediale Produkt in die Alltagswirklichkeit zurückzuführen.
Damit einher geht der Anspruch eines themenübergreifenden, eines transversalen
Lernens. Wirklichkeit und Virtualität stehen nicht im Widerspruch, sie
ergänzen und beeinflussen sich gegenseitig.
Zielgruppenbeschreibung Das
Alter der Zielgruppe war 10-14 Jahre. Während zu Beginn des Projektes
gemischtgeschlechtliche Kinder angesprochen wurden, stellte es sich
heraus, daß aufgrund gegenseitiger Rivalitäten es besser war, die Jungen
von den Mädchen zu trennen. Alle beteiligten Kinder kamen aus sozial
benachteiligten Familien. Die Familien der Kinder kamen aus unterschiedlichen
Ländern, vorwiegend aus der Türkei, Marokko, Mazedonien und Pakistan.
Die Kinder konnten sich ohne Ausnahme in der deutschen Sprache nicht
optimal ausdrücken, es fiel ihnen schwer sich diskursiv zu artikulieren.
Zu Beginn des Projektes hatten sie, mit Ausnahme eines pakistanischen
Jungen, keine Erfahrung im Umgang mit dem Medium Computer. Sie verfügten
weder auf der diskursiven noch auf der alphanumerischen Ebene über gesellschaftlich
anerkannte kommunikative Kompetenzen.
Methodenentwicklung Bei
dem Projekt "Virtuelles Kinderhaus Nordweststadt" beschäftigten
sich die Kinder mit sich selbst (virtuelle Steckbriefe), ihrer konkreten
Lebensumwelt (virtuelle Stadtteilerkundung), dem Kinderhaus (virtuelles
Kinderhaus) und dem Abenteuerspielplatz (Virtueller Abenteuerspielplatz).
Ursprünglich war "nur" das Erstellen eines virtuellen Stadtteilplanes
vorgesehen. Im Verlauf des Projektes erweiterte sich die Aufgabenstellung.
Zum Schluß wurde an den oben erwähnten vier Handlungssträngen gearbeitet:
Alle Ebenen wurden auf der Oberfläche einer CD-ROM miteinander verknüpft,
d.h. das eigentliche Ziel des Projektes war das Erstellen einer CD-ROM. Von
Anfang an ging es nicht um die Darstellung eines objektiven Szenarios.
Bewußt wurde davon ausgegangen, daß die Kinder die Chancen bekommen
sollten, subjektive, individuelle Dokumente zu erstellen. Sogenannte
objektive Erkenntnisse waren nicht intendiert, da von der Hypothese
ausgegangen wurde, daß die Kinder eine intensivere Erfahrung erleben,
wenn ihre eigene Perspektive in das Zentrum des Projektes gerückt wird.
Darüber hinaus eröffnete dies die Chance für die Sozialpädagogen des
Kinderhauses, mehr über die Sichtweisen von Kindern zu lernen.
In
der ersten Phase wurde den Kindern die Software nahe gebracht. Eingesetzt
wurde die Multimedia-Autorensoftware Mediator, eine für die Kinder-
und Jugendarbeit bestens geeignete Multimediaapplikation, wie ich an
anderer Stelle schon ausführlich beschrieben habe (siehe Literaturtip).
Die Benutzung der Software läßt sich sehr schnell erlernen, da sie nur
mit Drop und Drag das Erstellen einer Multimedia-CD ermöglicht. Es zeigte
sich auch, daß die Kinder nach einer Anfangsunsicherheit die Software
recht schnell beherrschten. Nachdem
die Multimediaplattform (Vernetzung der Seitenstruktur - Hyperlinks)
erstellt war, die wesentlichen Befehle geübt, Texte erstellt sowie Grafiken
und Bilder in die jeweiligen Seiten integriert werden konnten, wurden
die Kinder gebeten, Fotos aus ihrer frühen Kindheit und ihrer Heimat
mitzunehmen. Die Fotos wurden mit einem Scanner in Dateidaten transformiert
und in die Selbstdarstellung der virtuellen Selbstbilder einbezogen.
Ebenso eingesetzt wurde das digitale Schnittprogramm Cool Edit. Damit
war es möglich die Kinder zu interviewen und nachher die besten Stellen
für die CD auszusuchen. Ebenfalls wurden Schlagzeugsoli der Kinder,
die sie im Rahmen einer Arbeitsgruppe von "Rockmobil" geübt hatten, aufgenommen, digitalisiert
und in das Produkt integriert. Danach recherchierten die Kinder mit
digitalen Kameras in ihrem Lebensumfeld. Die ausgewählten Aufnahmen
wurden dann in die Multimedia-CD integriert.
Schwerpunkt Steckbriefe Jedes
Kind konnte selbst entscheiden welches Seitenprofil es von sich erstellten
wollte. So entschied Özlem eine Seite über ihre Kindheit zu erstellen,
dabei zeigte sie Fotos aus unterschiedlichen Altersphasen. Wenn ein
Bild mit dem Curser berührt wurde, blendete das Bild aus und es war
ein Text zu lesen über den Hintergrund, in welchem Kontext das Bild
entstand. Des weiteren produzierte sie eine Seite über ihre Hobbies,
ihre Heimat und ihre Lieblingsmusik. Wais berichtet in seiner Seite
über seine Familie, seine Freunde, sein Traumzimmer, seine Traumschule,
seine Lieblingsfilme, seine Hobbies, seine Zukunftsphantasien und seine
Bezugspunkte zum Kinderhaus. Auffallend war, daß sehr viele Kinder ihre
Seiten mit Pokemon-Figuren ausgestalteten. Die Interviews wurden mit
der Startseite von jedem Kind verknüpft. Immer wenn eine Seite eines
Kindes aufgerufen wird, sind die Interviews zu hören.
Schwerpunkt Stadtteilplan
Beim
virtuellen Stadtteilplan dominierte die Darstellung des Nordwestzentrums,
offensichtlich ein Bereich, der für die Kinder eine besondere Bedeutung
hat. Ihr Lebensumfeld, eine Retortenstadtteil am Rande des Einkaufzentrums
Nordwest, bietet wenig individuelle Gestaltungs- und Aneignungsformen
an, da das Arreal eine zweckorientierte, klar gegliederte Architektur
aufweist. Dem gegenüber verspricht das Einkaufszentrum mehr an Erlebnisvielfalt.
Im
direkten Lebensumfeld wurden vornehmlich das Einkaufszentrum Nordwest,
die Wohnbedingungen und die Spielorte fotografiert. Wegen der Offenheit
und klar gegliederten Lebensumfeldes konnten die ursprünglich geplanten
Recherchen über gefährliche und geheime Orte, „coole“ und "echt
krasse" Ecken nur beschränkt in die Produktion integriert werden
(da es sie kaum gab). Die subjektiven Stadtteilsichten wurden zum Schluß
miteinander verglichen. Damit wurde auf sinnliche Weise deutlich, daß
Kinder ihre Umwelt ganz unterschiedlich wahrnehmen. Das gab Anlaß zu
Kommunikation und zum Austausch. Am Ende wurde eine gemeinsame subjektive
Sicht erstellt.
Schwerpunkt Kinderhaus
Die an dem Projekt beteiligten Kinder fühlen sich in dem Kinderhaus Nordweststadt sehr wohl und hatten von Anfang an Interesse das Kinderhaus mit einzubeziehen. Die Räume des Jugendhauses wurden visuell vorgestellt. Das Wochenprogramm wurde präsentiert. Ein besonderer Bereich, die Gruppen, wurden ausführlich mit Bild und Ton (z.B. Rockmobil-Gruppe) gewürdigt. Theater, Kino-, und Tanzaktivitäten der letzten Wochen wurden gezeigt und es wurde auf Veranstaltungen aufmerksam gemacht, so z.B. den Flohmarkt, Feste des Kinderhauses, Turniere und Ausflüge. Ein Kind hatte selbständig ein Quiz entwickelt, das mit in die CD aufgenommen wurde. Ebenso wurden die Teammitglieder des Kinderhauses und die Projektmitarbeiter vorgestellt.
Schwerpunkt Abenteuerspielplatz
Verstetigung
Durch
die Mitarbeit von Peter Bodung konnte ein hauptamtlicher Mitarbeiter
im Projektverlauf mit den Methoden vertraut gemacht werden. Das Projekt
konnte problemlos in einem eigenständigen Prozeß fortgeführt werden.
Damit handelt es sich bei dem Projekt um Hilfe zur Selbsthilfe. Bei
dem Projekt stand jedoch nicht die Vermittlung von Technik im Vordergrund,
sondern die handlungsorientierte Aneignung von Medien für die Bewältigung
einer Sozialrecherche. Somit wurde simulativ Problemlösungsverhalten
im interaktiven Sozialraum gelernt. Neben der kommunikativen Kompetenzerweiterung
im Umgang mit dem Computer erlernten die Kinder, ihre konkrete Lebensumwelt
intensiver zu betrachten. Ein weiterer Focus des Projektes lag somit
bei der Schulung der Wahrnehmung als Ausgangspunkt zum bewußten Erkennen.
Aus diesen Gründen wurden ‚subjektive‘ Stadtteilpläne erstellt. Die
beteiligten Kinder wurden sich ihrer subjektiven Bedürfnisse bewußt
und mittels der Gegenüberstellung mit anderen subjektiver Bedürfnisse
nivellierten sie im gemeinsamen Lernprozeß ihre Standpunkte. Politiker,
Eltern und Pädagogen können anhand der Ergebnisse sehen, wie Kinder
ihren Stadtteil sehen, welche Aneignung von Wirklichkeit bei Ihnen Relevanz
hat. Ausgehend von diesen Ergebnissen gibt es Chancen für eine partizipative
Beteiligung, da in den Produktionen die Bedürfnisse, Wünsche und Interessen
der Kinder veranschaulicht sind.
Betreuung Das
Projekt wurde von mir noch während meiner Tätigkeit beim Institut für
Medienpädagogik und Kommunikation (MuK) in Frankfurt im Sommer 1999
konzeptioniert. Seit September 1999 habe ich das Projekt ausgehend von
meiner Tätigkeit an der FH Darmstadt betreut und begleitet. Ganz wesentlich
an dem Erfolg des Projekt waren Sandra Schollmeyer (FH Frankfurt), die
über das Projekt ihre Diplomarbeit geschrieben hat, Xavier Renoux und
Armelle Boukhedid aus Paris (Europäischer Jugendaustausch) und Peter
Bodung (Kinderhausleiter) beteiligt. Das Projekt wurde im SS 2001 abgeschlossen.
Literaturtip: |